Vor einiger Zeit ist mir ein Artikel aus dem Jahre 2019 zugespielt worden, den ich vor ein paar Wochen bei der Vorbereitung meines Berichts zur “Lage der Nation“ bei deutschen Shantychören wieder entdeckt habe.
Die Überschrift lautete “Lasst die Chöre sterben!“ – der Untertitel war eine Feststellung mit
“Der traditionelle Gesangverein stirbt aus – und das ist gut!“
Bevor ich dieses Thema heute einmal mit Euch näher beleuchte, sage ich eindeutig, dass wir – der Fachverband Shantychöre Deutschland die Shantychöre nicht sterben lässt , denn das ist im Gegensatz zu der Meinung des seinerzeitigen Referenten nicht richtig und nicht gut!
Dennoch sind einige Passagen des Berichtes beachtens- und überlegenswert, damit es nicht zu einem großen Sterben der Shantychöre kommt.
Immer wieder berichten die Medien über das vermeintliche Chorsterben.
Ebenso klagen viele Funktionäre in den Shantychören darüber, dass die Jugend nicht mehr singen möchte und sich niemand mehr finden lässt der gern singt, geschweige denn, dass Personen bereit sind, sich in den Vorständen zu engagieren.
Sicherlich lassen sich landauf und landab Chöre und Gesangsgruppen finden, , die überaltern, deren Mitgliederzahlen zurückgehen und die sich dann auflösen.
Oft verschwinden dabei Vereine, die auf eine Geschichte von 100 oder mehr Jahren zurückblicken.
Besonders betroffen sind ehemals große Männerchöre, die in ihren besten Zeiten mit 50 oder mehr Sängern auf der Bühne standen.
Zum Teil ist von diesen Chören kaum noch ein Dutzend Sänger mit einem Altersschnitt jenseits der 70 übrig, die den Zeiten nachtrauern, als man noch regelmäßig Wettbewerbe gewann und an großen Freundschaftssingen teilnahm.
Diese Tendenz ist bundesweit zu beobachten und tatsächlich sieht es so aus, dass der traditionelle Gesangverein, der die Chorszene in Deutschland seit den ersten Chorgründungen Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt hat, langsam ausstirbt.
In vielen Shantychören lautete das Motto über Jahrzehnte auch: “Weiter so!“.
Man war und ist der Meinung, was in den vergangenen Jahrzehnten funktioniert hat, muss auch in den kommenden Jahrzehnten gut sein.
Für die Sänger und Chorleiter bildet das althergebrachte Repertoire eine Wohlfühlzone.
Man hält nur zu gerne an Traditionen fest, die für die Mitglieder das vermeintlich Besondere des Vereins ausmachen.
Dabei wird jedoch übersehen, dass dieses Festhalten eines der Gründe für Mitgliederschwund und Nachwuchsmangel sind.
Als die Vereinschöre vor Jahrzehnten noch groß waren, ignorierten die Verantwortlichen, dass es keinen Nachwuchs mehr gab.
Man stand noch mit 40 oder mehr Personen auf der Bühne.
Man dachte sich, irgendwann werden schon wieder neue Sänger den Weg in den Chor finden.
Damals hat man es verpasst, Repertoire, Vereinsleben und Arbeitsweise zu modernisieren.
Bis heute lehnen es weiterhin einige Chöre ab, moderne oder auch anderssprachliche Musik auch nur in Betracht zu ziehen.
Vorstände verweigern sich neuen Ideen gegenüber und nehmen junge, engagierte Mitglieder nicht ernst, wenn es diese überhaupt gibt.
Es ist keine Seltenheit, dass junge Menschen, die sich im Vorstand engagieren wollen, aufgefordert werden, erst einmal ein paar Jahre als zweiter Notenwart das Archiv zu sortieren.Dann würde man sich ihre Vorschläge gerne anhören. Das dies der Motivation nicht gerade zuträglich ist, sollte allen klar sein.Tradition wird großgeschrieben und ich vertrete auch die Meinung, dass es weiterhin einen Bedarf an dieser Musikpräsentation der traditionellen Seemannslieder, Melodien der Waterkant, und Lieder aus Opern, Musicals und Operetten gibt.Und es gibt Menschen, die gerade diese Lieder besonders lieben und genießen, aber, und das sollte auch gesehen werden: Die Anzahl dieser Gruppe von Menschen wird immer kleiner.
Ein Mathematiker würde sagen, dass es hier eine Parallelverschiebung mit den Chören gibt, die damit älter und auch damit auch kleiner werden.Jedoch hat die Welt sich verändert – den Prozess erleben wir tagtäglich und hier gilt es, bereit zu sein, die Veränderungen und Neuerungen zu erkennen.In der Öffentlichkeit finden diese Veranstaltungen jedoch immer weniger Beachtung.
Aber während die Traditionsvereine dahinsiechen, entstehen überall junge und auch neue Chöre, die sich dem Spaß am gemeinsamen Singen widmen.
Dort probiert man neue Formen der Präsentation aus, lässt sich nicht von vermeintlichen Repertoire-Kategorien einschränken und nimmt auch keine Rücksicht auf unnötige Rituale.
Und es gibt auch mittlerweile eine wachsende Anzahl von Shantychören, in unserem Verband, die neben dem traditionellen Liedgut neuere Musik dazu nehmen.
Hierfür muss man nicht unbedingt und nur in andere Kategorien abwandern, sondern es gibt bei uns das Feld der originalen Shanties, die bislang ein unbeachtetes Repertoire darstellten.
Wenn ich von Shanties rede, meine ich am wenigsten die Arbeitslieder – aber auch – sondern vor allem die Freizeitlieder der Seeleute auf den Tiefwasserseglern des 18 – 19. Jahrhunderts.
Das aufkommende Problem mit dem Englisch wird gelöst mit dem Schreiben einer Lautschrift.
Nach dem Motto “Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ werden die älteren im Chor merken, dass es doch nicht so schwer ist, die 2-4 Zeilen des Refrains in Englisch zu erlernen.
Und wenn sich dann der Erfolg einstellt, sind sie die ersten, die stolz darauf sind.
Schaut Euch auf YouTube doch die Lieder von den Dubliners, Tom Lewis, Bruce Springsteen, Nathan Evans oder das “Sea Shanty Medley Live“als gute Beispiele an.
Startet doch einen Versuch mit einem Workshop, den u.a auch der FSD anbietet.
Eine gute Gelegenheit ist auch ein Projekt, welches der Chor veranstaltet.
Regelmäßig bietet der FSD hierfür verschiedene Quellen der Fördermittel an – u.a. Mittel der Bundesregierung über den BMCO.
So haben wir auch für heute Nachmittag einen Vortrag eingeworben, der uns über weitere Möglichkeiten der Finanzierung von Projekten informiert.
Somit muss es am fehlenden Geld nicht scheitern und wenn die Vorstände sich positiv dem Thema des Weiterlebens der Shantychöre interessieren, werden die sogenannten und angeblich unflexiblen Traditionschöre nicht sterben.
Diese Chöre werden sich weiter entwickeln und werden weiterleben und ihr altes und neues Publikum begeistern.
Und es werden neue, junge und auch ältere Sänger hinzukommen – die Chöre werden sich verjüngen und damit sind sie die eigentliche Zukunft der Chorszene.
Sie folgen der Definition des Begriffes “Tradition“ von Jean Jaurès, welches fälschlicherweise auch Gustav Mahler zugesprochen wird.
Es lautet:
“Tradition ist nicht die Bewahrung der Asche,sondern die Weitergabe des Feuers“
In diesem Sinne hoffe ich weiterhin auf eine gute Zukunft der Shantychöre und freue mich, wenn dieser Bericht ein wenig mit dazu beiträgt, die leuchtende Flamme der maritimen Lieder und Songs zu erkennen, und mutig die leichte Kurskorrektur zu beginnen.
Im übertragenen Sinn:
“Wartet nicht auf neue Sänger oder Sängerinnen, Musiker oder Musikerinnen,sondern überlegt stattdessen lieber, wo sie stehen und wo ihr sie abholen könnt“.
Herford, 29.06.2024
Hans Rodax


